Die Sioux Indianer

Die Bezeichnung "Sioux" ist eine französische Verballhornung von "nadoueissiw", dem Ojibwa- (Chippewa-) Wort für Feind. Sie selbst nannten sich je nach dialektischer Sprachfärbung Lakota, Nakota oder Dakota, was soviel wie "Alliierte" bedeutet. Sie hatten und haben nichts dagegen, wenn man sie "Sioux" ("ssiuu" ausgesprochen) nannte oder nennt.

Wie bei kaum einer anderen indianischen Gruppierung ist die Kultur der Sioux seit den von uns nachvollziehbaren Anfängen an direkt und indirekt von den weißen Eroberern des amerikanischen Kontinents beeinflusst worden. Zu Beginn wurde sie unfreiwillig positiv und später aggressiv-negativ mit- und umgestaltet. Die Wurzeln dieses Volkes liegen im Waldland am Oberlauf des Mississippi. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebten die östlichen Stämme der Sioux Nation, die Santee oder Dakota, vorwiegend beiderseits des Minnesota River. Sie waren die einzigen, die zumindest temporär die Verbindung zu ihren ursprünglichen Jagdgründen in den Wäldern des Nordens aufrecht hielten und dort gelegentlich wie in den alten Zeiten ihren Wildreis ernteten. Die sogenannten mittleren Stämme, die Yankton und Yanktonai oder auch Nakota, hatten zu diesem Zeitpunkt das Band zu den Wäldern und Seen der alten Heimat zerschnitten und waren Steppenreiter und Büffeljäger geworden. Doch wie es heißt, behielten sie noch lange nach diesem Bruch Gebräuche und Sitten ihrer Brüder im Osten bei.

Weiter westlich wiederum folgten die Teton oder Lakota den Fährten der Bisonherden unter dem unendlichen Himmel der Prärie. Sie unterteilten sich in Brulé (Die gebrannten Beine), Minneconjou (Pflanzer am Wasser), Sans Arc (Ohne Bogen), Oglala (Die sich weit verteilen), Two Kettle (Zwei Töpfe - also die Reichen), Sihasapa (Die Schwarzfüße - nicht zu verwechseln mit der nordwestlich lebenden Blackfoot Nation) und die Hunkpapa (Die in der Öffnung des Ringes kampieren). Die Lakota hatten jegliche, wahrscheinlich sogar die spirituelle Bindung zu ihrer einstigen Heimat in den Wäldern und an den Seen des südlichen Kanadischen Schildes aufgegeben. Nicht einmal ihre Sagen und Legenden berichten von den Zeiten, als sie die Paddel beiseite gelegt, die Kanus und Rindenhütten zurückgelassen hatten, nach Westen gezogen waren, sich auf die Rücken der im weitem Grasland umherziehenden Pferdeherden geschwungen hatten und fortan in Tipis lebten.

Niemand weiß, seit wie vielen Generationen diese Menschen zuvor im Waldland des oberen Mississippi, im heutigen US- Bundesstaat Minnesota, gehaust hatten. Als halbsesshafte Jäger, Fischer und Sammler von Wildreis lebten sie in weit über das Land verteilten Familien- und Sippenverbänden, den "tiyospaye". Wie alle Waldindianer des Nordens führten sie - im Vergleich zu den Kulturen des amerikanischen Südwestens - ein atavistisches Dasein, in dem alle Kräfte auf das Überleben konzentriert werden mussten. Es war eine Lebensform, die weder die Zeit noch die Voraussetzungen bot für große politische, kulturelle oder militärische Ambitionen. Hin und wieder schlugen sie sich mit ihren Nachbarn im Nordosten, den Ojibwa oder Chippewa, herum, mitunter auch mit den Pawnee, die dieselbe Lebensform praktizierten. Doch das waren keine Fehden oder Kriege, sondern punktuelle Raubüberfälle und Scharmützel, kurzfristige Auseinandersetzungen um die besseren Jagd- und Fischgründe.

Das änderte sich in dem Augenblick, als die Weißen auf den Plan traten. Die Ojibwa kamen über die Franzosen und später über die Engländer eher in den Besitz von Feuerwaffen als die Sioux. Damit neigte sich die Balance auf ihre Seite - sie vertrieben ihre Erzfeinde aus dem unendlichen Wald-Wasser-Land und zwangen sie hinaus auf das offene Grasland des amerikanischen Mittelwestens, auf die Prärie. Hier war eine ebenfalls von den Weißen, diesmal von den Spaniern, unfreiwillig initiierte, tiefschürfende Veränderung über die Bühne der Geschichte gegangen - Die Indianer waren nach den Pueblo-Aufständen in den Besitz von Pferden gelangt. Teilweise handelte es sich bei den "pintos" um Ausbrecher aus den "Corrals", den Pferchen des Südwestens, teilweise waren sie absichtlich oder unabsichtlich von den Indianern freigesetzt worden und verwilderten. In den grasigen Ebenen fanden die Pferde, ursprünglich Steppenbewohner, ideale Lebensbedingungen vor. Sie vermehrten sich ohne jegliches Zutun des Menschen millionenfach und breiteten sich wie ein Buschfeuer aus.

Die Sioux brauchten nur noch zuzugreifen und sich auf die "sunka waken" - wie sie die Pferde nannten - zu schwingen. Schon nach ein paar Jahren schien es, als seien die Jäger und Krieger auf dem Pferderücken geboren. Binnen weniger Jahrzehnte entstand jene einzigartige Reiterkultur, die uns noch heute fasziniert und in ihren Bann zieht.

Der Reichtum eines Sioux wurde nach der Anzahl seiner Pferde gemessen, sein Ansehen danach, wie viele er verschenkte, seine Tapferkeit, wieviel erbeutete Ponys er von Raubzügen gegen die verfeindeten Crow oder andere Stämme heimbrachte.

Die Lakota kehrten das offenbar vorgegebene Desaster der Vertreibung um, indem sie eine neue, evolutionär höher angesiedelte Existenzform schufen. Sie zeigten sich so begeistert von all dem hier vorgefundenen Neuen, daß sie darüber ihre alte Waldheimat vollständig vergaßen. Sie fanden kein Vakuum vor. Da waren bereits andere indianische Völker, die Mandan, die Hidatsa, die Kiowa, die Crow. Aber die Neuankömmlinge waren frischer, aggressiver und entschlossener. Sie vertrieben die anderen Stämme aus ihren angestammten Jagdgründen. Es waren die besten, die der damals indianische Mittelwesten zu bieten hatte. Büffel, Pranghorn-Antilopen, Wapiti-Hirsche, wilde Truthähne, Präriehühner bevölkerten die scheinbar endlosen Ebenen. Der Tisch war reich gedeckt.

Im Winter fanden die Lakota in den tief erodierten Flusstälern Schutz vor den heulenden Blizzards - sie fanden Feuerholz, Nahrung für ihre Pferde. Die Sioux waren die uneingeschränkten Herrscher über ein riesiges Territorium, das große Teile der heutigen Bundesstaaten Minnesota, Iowa, North Dakota, Nebraska und fast das gesamte South Dakota umfasste.

Es mag um das Jahr 1775 gewesen sein, als der Lakota-Häuptling Standing Bull auf einer "Raid", einem Beutezug, in den fernen, unbekannten Westen, nach Durchquerung der Jagdgründe der Mandan, der Hidatsa und der Kiowa, staunend vor einem isolierten Gebirgszug stand, der sich wie eine dunkle Wolke über der flachen Prärie erhob. Es waren die "Paha Sapa", die Black Hills oder Schwarzen Hügel. Eine beeindruckende, über tausend Meter hoch aufragende Bergkette aus Granit und Kalkstein - hundertachtzig Kilometer lang und sechzig Kilometer breit. Vordem gehörte die gebirgige Insel im weiten Grasmeer zu den Jagdgründen der Kiowa - aber die Lakota waren die Stärkeren. Sie vertrieben auch diesen kriegerischen Präriestamm, der sich in der Folge weiter nach Süden hin orientierte.

Für die Sioux waren "die Hügel, in denen der Große Geist wohnt", von hoher mystischer wie auch von ganz realer, praktischer Bedeutung. Hier war der Tisch reich gedeckt - hier gab es Bären, Fische, Rotwild, Beeren in Hülle und Fülle. Die Lodgepole- Kiefern zum Aufrichten ihrer Büffelhaut-Tipis bedeckten die Hänge so dicht, daß sie wie eine schwarze Decke wirkten. Die Kiefern sollten diesen Bergen den unter den Weißen gebräuchlichen Namen "Black Hills" geben. Die "Paha Sapa" wurden zum Götterthron der Lakota, hier residierte "Wakan Tanka", der Große Geist - die Personifizierung alles Mystischen, Großartigen, Heiligen, Mächtigen, Unfassbaren. Die Visionen der Lakota fanden hier ihren Platz.

Parkman war einer der ersten Amerikaner, der von den Sioux berichtete: "Die Sioux sind durch und durch Wilde. Weder ihre Bräuche noch ihre Gedanken sind durch den Kontakt mit der weißen Zivilisation beeinflusst".

Doch das stimmte nicht.

Bereits in der alten Heimat, in den Wäldern des heutigen Minnesota, hatten die ersten Güter der Weißen - wenn auch durch Vermittlung der Ojibwa - den Weg zu den Sioux gefunden: Messer, Äxte, Tabak, Tee, Töpfe vor allem, die sie gegen die Felle von Biber, Nerz, Marder, Fuchs, Luchs und anderen vierbeinigen Waldbewohnern eintauschten. Dann waren es die Musketen des Weißen Mannes in den Händen der Ojibwa gewesen, die sie aus ihrer alten Heimat vertrieben hatten. Später war es das Mitbringsel der Spanier, das Pferd, das die neue Lebensform erst möglich machte. Letztendlich erwiesen sich die Gaben der Weißen als Büchse der Pandora, aus der das Böse in die Welt der Indianer hineinkroch, vordem unbekannte Epidemien, die die Rivalen der Sioux - die Mandan, die Arikara, die Omaha - schwächten, sie aber selbst vorerst verschonten und ihre Hegemonie erst ermöglichten. Die Schlangen aus der Pandora-Büchse hießen Pocken, Cholera, Masern ...

Jetzt waren es die "Mountain Men", die die Rolle der Ojibwa übernahmen und die Versorgung mit Töpfen, Äxten, Messern, Nadeln, Pfeilspitzen, Alen, Tee und Tabak sicherten. Im Tausch gegen Büffelfelle fanden diese weißen Güter den Weg zu den Sioux, wie auch so mancher Vorderlader.

Der erste "offizielle" Kontakt zwischen den Häuptlingen der Sioux und den Abgesandten der Weißen war genauso wenig konfliktfrei wie viele später. Im Spätsommer 1804 erreichte die Expedition der Amerikaner Lewis und Clark die Jagdgründe der Sioux. Die roten Gastgeber veranstalteten zu ihren Ehren ein Festessen, rauchten mit ihnen die Friedenspfeife, tanzten und erwarteten entsprechende Gegengeschenke. Doch die beiden Weißen verteilten nur ein paar Medaillen, schlugen ein neugeborenes Kind in die amerikanische Fahne ein und erklärten den staunenden Häuptlingen, daß nach der sogenannten "Louisiana Purchase" nicht mehr die Franzosen, sondern die Amerikaner die Herren des Landes seien.

Es darf als unwahrscheinlich gelten, daß die versammelten roten Würdenträger überhaupt verstanden, was die beiden Amerikaner mit ihrer Flaggenzeremonie und der Erklärung des Vertrages unbegreiflich fremder Mächte zum Ausdruck bringen wollten. Wahrscheinlich haben sie von alledem nichts begriffen, sonst wäre ihre Reaktion noch unfreundlicher ausgefallen. De facto waren und fühlten sie sich als die stolzen, unumschränkten Herren des weiten, scheinbar unendlichen und ewigen Graslandes der Prärie. Erst als die beiden Amerikaner neben dem Sternenbanner für die Baby-Zeremonie weitere Waren auspackten und immer wieder die Pfeifen der Häuptlinge mit ihrem Tabak füllten, besänftigten sich deren Gemüter.

Lewis´ Kommentar: "Die Sioux sind unter diesen Wilden die gemeinsten Schurken."

Die zeitgenössischen europäischen Schriftsteller bemächtigten sich des Themas. Sie gaben den Pferden ihrer Phantasie die Sporen, sie ließen die Zügel schießen, spannen die farbigsten Fäden, schufen die populärsten Heldenfiguren der Weltliteratur. Millionen und Abermillionen Leser folgten gebannt ihrem fiktiven Schicksal. Die roten Steppenreiter, die Krieger und Jäger ritten immer schneller, kämpften immer tapferer - sie wuchsen um Längen über die Rewaöität hinaus. Das Denkmal des "edlen Wilden" erhob sich überlebensgroß auf dem Podest der Imagination. Legende und Wirklichkeit verwoben sich zu einem schwer durchschaubaren Gespinst.

Die Sioux als zahlreichste und mächtigste Nation der Prärien spielten die vorgegebenen Rollen, als Ritter ohne Furcht und Tadel, aber auch als die Verkörperung abgrundtief grausamer, hinterhältiger Bösewichte. Als Gegenpart zu alledem schuf die amerikanische Fiktion der Wochenmagazine des 19. Jahrhunderts - einer Mixtur aus Bild-Story-Aktualitäts-Historie - und später Hollywood den Pionier, der mit der Waffe in der Hand Familie und Scholle verteidigt, den sympathisch verschrobenen, einzelgängerischen Waldläufer - vor allem aber den Kavalleristen, der zum hellen Klang der Signalhörner hoch zu Ross oder hinter den Palisaden des Prärieforts zusammen mit seinen Kameraden die in dichten Massen anreitenden roten Krieger niederstreckt. Worauf er, von nicht mehr als einem Streifschuss blessiert, in die voll glühender Erwartung ausgebreiteten Arme der Hauptdarstellerin sinkt.

So war es natürlich nicht. Die Indianer waren Menschen quasi von einem anderen Stern. Sie hatten ihre eigene Denkensart, ihre eigene Sicht der Dinge - ihr Handeln resultierte aus oft für Weiße unbegreiflichen Traditionen. Sie hatten andere soziale Strukturen, gänzlich verschiedene Lebensformen. Sie lebten auf einer Kulturstufe, die zumindest technisch-materiell um dreitausend Jahre hinter der der Weißen herhinkte.

Auch wenn sie sich Werkzeuge und Waffen der Weißen beschafften und rasch lernten, recht geschickt damit umzugehen - es gelang ihnen nie, sie selbst zu fertigen, um wenigstens in dieser Hinsicht einen Zipfel Unabhängigkeit zu erhaschen. Sogar sonst wohlmeinende Weiße glaubten nicht, daß die Indianer die weitere kulturelle Evolution, für die die Europäer Jahrtausende brauchten, in ein paar Jahrzehnten absolvieren könnten.

Man kann die Sache drehen und wenden, wie man will - bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts standen die Prärie-Indianer auf verlorenem Posten. Technisch, politisch, militärisch, zahlenmäßig waren sie den weißen Eroberern hoffnungslos unterlegen. Wo auch immer die Indianer den weißen Expansionsbestrebungen im Wege standen, mussten sie weichen. Wo sie sich wehrten, entzog man ihnen die Existenzgrundlage, sie wurden mit Gewalt vertrieben oder getötet. Es war vielleicht nicht unbedingt eine konsequent physische Form des Genozids, aber es war eine moralische, mit ähnlichem Effekt.

Doch heben wir Europäer unsere Köpfe nicht zu hoch und zeigen wir nicht mit unserem Finger auf die "bösen" Amerikaner - wer waren sie denn, diese selbstsüchtigen Eroberer? Es waren doch vorzugsweise Europäer, die über den Atlantik gekommen waren, es waren doch unsere eigenen Vorfahren, die die "Neue Welt" usurpierten und deren Ureinwohner keine Chance ließen.

Hin und wieder gab es Atempausen in der Entwicklung im Drang nach Westen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten die Siedler den Mississippi erreicht, und die Waldregionen der östlichen Hälfte der Vereinigten Staaten waren durch und durch "weiß". Aber die Siedlungsformen der europäischen Pioniere waren an den Wald gebunden. Man brauchte das Holz für den Bau von Unterkünften, Blockhütten für den Menschen, von Ställen für das Vieh. Man brauchte es für Zäune, als Brennmaterial für Koch- und Heizöfen, als Rohstoff für Werkzeuge, Geräte, Fuhrwerke und tausenderlei mehr. Im Westen dehnte sich noch das freie, scheinbar unendliche Grasland der Prärien, in dem es diesen wichtigsten aller Rohstoffe nicht gab. Die Prärie war wie ein Meer, das sich einer weiteren Expansion widersetzte.

Sir William Francis Butler im Jahr 1870.

"Selbst die weite, offene See ist nicht so mannigfaltig wie das Meer der Prärie, von dem ich sprechen will. Eine unbeschreiblich schöne Decke reinsten Schnees im Winter, eine weite Ebene von zartblühenden, wilden Rosen und Gras im Sommer und ein Meer lodernder Flammen nur allzu oft im Herbst. Mit den Sonnenaufgängen dieses Grasmeeres lässt sich kaum einer auf den sieben Ozeanen vergleichen, und verlassener als die von den Schatten der Nacht umhüllte Prärie kann kein Schiff auf dem weiten Meer sein. Die Einsamkeit spricht nur aus dem Heulen der Wölfe, und die immerwährende Stille der Sterne ist wie eine Antwort auf das Schweigen des Landes darunter. Zeit bedeutet diesem Meer nichts - es ist ewig und ohne Vergangenheit."

Nicht alle sahen das eindrucksvolle Grasmeer so poesievoll:

Lewis und Clark, die ersten Entdecker, die es "durchschifften", bezeichneten die Prärie als "wüstenhaft und unfruchtbar".

Zebulon Pike schrieb einige Jahrzehnte später -

daß der größte Teil des Graslandes nie im Stande sein werde, eine weiße Bevölkerung zu ernähren. Er sah in ihm die Schranke, "die dem amerikanischen Volk, das so der Entdeckerfreude und dem Aufbruch zu neuen Grenzen geneigt ist, Halt gebietet".

Und Major Stephen Long erklärte:

"Wir vertreten die Ansicht, daß dieses Gebiet für die Kultivierung vollkommen ungeeignet - und deshalb für eine vom Ackerbau abhängige Bevölkerung unbewohnbar ist."

Diese Einschätzung verschaffte den Indianern eine Atempause. Die Vertreibung aus dem Paradies verschob sich um einige Jahrzehnte. Im Gegensatz zur Auffassung der Ackerbauern waren die endlosen grasigen Ebenen für die berittenen Wildbeuter ein Dorado. Am Ostrand, wo es ausreichend Niederschlag gab, wuchs das Gras höher Ais ein aufrechtstehender Mann. Es war der fruchtbarste Teil der Prärie, die dort ansässigen Indianer bauten Mais und andere Feldfrüchte an und straften die frühen Ansichten der Weißen Lügen.

Westlich davon wird das Klima immer trockener, und die üppige Vegetation ging in die rasenähnliche Kurzgrasregion der eigentlichen Great Plains über. Teilweise tischeben, teilweise sanftgewellt, die "rolling prairie", teilweise unterbrochen von schroffen Erhebungen, von zu Tage tretenden Gesteinen und tief ausgewaschenen Flusstälern präsentierte sich das "Land unter dem weiten Himmel" als die verdinglichte Freiheit. Der Pflanzenwuchs war die Grundlage für ein reichhaltiges Tierleben. Ganze Schwärme von Präriehühnern stoben vor dem Reiter auf, von den Truthähnen hieß es, daß die Zweige unter ihrer Last von den Silberpappeln brachen, wenn sie am späten Abend entlang der Wasserläufe aufbauten, langbeinige Hasen gab es zu Millionen, unter der Erde hatten die Prairie Dogs riesige, Hunderte von Quadratkilometer große Flächen unterhöhlt, Pranghorn-Antilopen waren immer und überall zu finden, Tausende von Wapitis grasten friedlich neben der sich immer noch vergrößernden Anzahl der verwilderten Pferde, die inzwischen auf der Prärie ebenfalls Heimat und Auskommen gefunden hatten.

Doch was war das alles gegen die riesigen Herden der majestätischen Büffel in ihrer urweltlichen Erhabenheit? Es gibt Berichte früher Entdecker, die einen vollen Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zwischen unbeeindruckt grasenden Wildrindern ritten und am Abend immer noch nicht die Randzone dieser Massenversammlung erreicht hatten.

Niemand hat sie gezählt, niemand vermochte sie zu zählen. Man ist auf nachträgliche Schätzungen angewiesen. Ob man ihre Zahl mit 60 Millionen annimmt oder ob es "nur" 15 Millionen gewesen sein sollen, was macht`s? In jenen glücklichen Zeiten bevölkerten nicht mehr als rund 250.000 Indianer die weiten Prärien. Das bedeutet, daß auf einen einzigen Indianer - ganz gleich, ob Großmutter, Baby oder Mann - an die hundert Büffel, wahrscheinlich aber viel, viel mehr kamen. Der Tisch, der Platz rund um die Tipis und Feuerstellen war überreichlich gedeckt.

Man konnte vom Überfluss schöpfen - auch wenn die Indianer keineswegs so Umwelt - oder ressourcenbewusst waren, wie wir sie in romantischer Nachschau sehen. Der Maler George Catlin berichtet: "Nirgends auf der weiten Prärie gibt es mehr Büffel und wilde Pferde. Aber es existiert auch kein Volk, das die einen so unnachsichtig zur Ernährung und die anderen ebenso zu ihrem Nutzen nimmt."

Die Sioux töteten oft mehr Wildrinder, als sie verbrauchen konnten, doch die Herden verkrafteten spielend die Verluste und regenerierten sich rasch auf ihre alte Zahl. Die Prärie war und ist immer noch ein harsches Land mit klaffenden klimatischen Gegensätzen, mit flirrender Sommerhitze und eisigen, über die Ebenen hinwegbrausenden, Mark und Bein durchschneidenden Blizzards im Winter. Die sengende Trockenheit wird abgelöst von sintflutartigem Gewitterregen. Über "Badlands", die Halbwüsten im Westen, also schon im Regenschatten der Rocky Mountains, stöhnt der Reisende heute noch: "Immer nach zwanzig Meilen bis zur nächsten Wasserstelle und dreißig bis zum nächsten schattenspendenden Baum." Im Osten erhoben sich die ersten, wiederum durch die Weißen initiierten Probleme. Die Regierung in Washington hatte den Großteil der Waldindianer, an die 90.000 Menschen, über den Mississippi hinweg in den heutigen Mittelwesten deportiert. Zu ihnen gehörten die Choctaw und Chicksaw, die Creek und Seminole, die Cherokee, die Osage, die aus verschiedenen Stämmen resultierenden sogenannten New-Yorker-Indianer, die Miami, Shawnee, Kansa, Delaware, die Sauk, Fox, Iowa und wie sie noch alle heißen mochten.

Die Bürokraten in Washington gingen davon aus, daß alle Indianer gleich seien. Man nahm an, daß die Menschen, die zuvor Biber in Fallen gefangen, mit Netzen gefischt, die Ahornsirup und Wildreis geerntet hatten, alsbald ihre überkommene Lebensform ändern und entweder zu Prärie-Indianern werden oder den Weg des Weißen Mannes gehen und sich in dessen Welt integrieren würden.

Der Kongress in Washington schuf 1832 das "Bureau of Indian Affairs", das diesem Prozess helfend zur Seite stehen, aber auch die Indianer vor Übergriffen der Weißen schützen sollte. Eine dieser Maßnahmen war der "Indian Intercoursee Act" von 1834, ein Gesetz, nach dem jeder Weiße, der sich in das Indianerland begab, eine entsprechende Genehmigung vorweisen musste. Weiterhin verboten sie den Verkauf von alkoholischen Getränken an die Eingeborenen.

Das waren gutgemeinte Absichten. Doch einen Beschluss durchzusetzen, sind zwei grundverschiedene Paar Stiefel. Prompt tauchten zwei Probleme auf - Entweder lernten auch die Neuankömmlinge sehr schnell, mit Pferden umzugehen und zu effizienten Büffeljäger zu werden, doch dann gerieten sie in die traditionellen Jagdgründe der in der Prärie etablierten Stämme und prompt mit diesen aneinander. Die Folge war einmal mehr Blutvergießen, bei dem sich die neu hinzugezogenen dank ihrer Feuerwaffen recht gut behaupteten. Oder aber sie schafften den Umstieg nicht und mussten sich mit den spärlich fließenden, sogenannten milden Gaben des Weißen Mannes zufrieden geben, der sie in einen Teufelskreis der Unselbständigkeit und Abhängigkeit führte, aus dem es bis zum heutigen Tag kein Entrinnen zu geben scheint.

Ein größeres Problem war die Lizenzierung der weißen Händler. Die Verlockung, mit Hilfe von König Alkohol satte Profite einzufahren, war unwiderstehlich. Umgekehrt gaben die Indianer für ein paar Drinks des ominösen "Blackfoot-Whiskey", einer hochbrisanten Mischung aus reinem Alkohol, gemahlenem Ingwer und rotem Capsicum-Pfeffer, Tinte, Blutlaugensalz, Kupfervitriol, Tabak und einer Prise Schießpulver und manchmal einer Messerspitze Strychnin, ihre letzte Habe.

Glücklicherweise wurde das Gebräu bis zum Gehtnichtmehr verdünnt und richtete erst im Laufe der Zeit entsprechenden Schaden an. Wie auch immer, die vordem stolzen Krieger verscherbelten für einen Pint des höllischen Gesöffs ihre letzte Büffeldecke, ihre besten Ponys, boten Frauen und Töchter an, fielen in trunkenen Streitereien mit Messer und Tomahawks übereinander her.

Und wenn sie mit pelziger Zunge und dröhnendem Kopf aus ihrem Rausch erwachten, dann stand ihr Sinn nach nichts anderen als nach einem neuen Drink. Die unvermeintliche Folge waren Demoralisierung, Infragestellung der traditionellen Strukturen, Armut, Not, Elend - der Krieger und der Familien.

Schlimmer noch wüteten bis dato unbekannten Krankheiten. Schon kurz nach der Wende vom 18. ins 19. Jahrhundert hatte eine von den Pawnee nach einer Raid ins ferne Mexico eingeschleppte Pockenepidemie fürchterlich auch unter den übrigen Präriestämmen gewütet. 1837 wurden die am oberen Missouri lebenden Gruppen betroffen. Die Mandan beispielsweise, der soziale und wirtschaftlich am weitesten entwickelte aller Stämme, wurde fast vollständig dahingerafft. An die 2.000 Pawnee starben. Auch die Osage litten fürchterlich. Aber die Sioux kamen gewissermaßen mit einem blauen Auge davon. Stärker und gefürchteter denn je gingen sie aus dieser Katastrophe hervor.

 

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